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9783863652005 - Ruth Eder: Altweibersommer
Ruth Eder

Altweibersommer (2012)

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Altweibersommer von Ruth Eder1Gina Romanyi war alles, nur kein Morgenmensch.Kleine, aufstehen! Die Schule ruft, flötete sie dennoch. Das Kind rührte sich nicht. Mist, dachte Gina, wann ist es morgens beim Aufstehen endlich wieder hell? Dunkelheit flößte ihr Unbehagen ein. Schon immer. Sie flüchtete sich dann in penetrante Fröhlichkeit. Dabei wusste sie, dass ihre Tochter das nicht mochte. Mara hatte ein Ohr für unechte Töne.Gina beugte sich über ihre Tochter und strich mit theatralischer Mütterlichkeit über die kühle Stirn unter honigfarbenen Strähnen. Sie ringelten sich unter dem Wust jener indianerbunten Woll-Überdecke hervor, die Gina zwei geschlagene Winter Arbeit gekostet hatte. Fast wie goldschimmernde junge Blindschleichen.Das kleine Zimmer mit der schrägen Wand und den weißen Wölkchen auf hellblauen Vorhängen roch nach Schlaf und Wärme und Kind. Dabei ist sie fast schon eine Frau, dachte Gina. Verlustgefühl.Sie hatte schlecht geschlafen. Ihr graute vor diesem Tag. Sie spürte den heftigen Drang, sich so wie früher manchmal an die Wärme des Körpers zu kuscheln, der vor Urzeiten in dem ihren gewachsen war. Für Sekunden würde sie sich dann vielleicht wieder ebenso sicher und aufgehoben fühlen. Aber abgesehen davon, dass ihre Tochter sich solch plumpe Vertraulichkeiten seit geraumer Zeit verbat, sprach aller Anschein dafür, dass Gina nun mal die Mutter, die Mama, der Hort der Geborgenheit war. Zu sein hatte. Tag für Tag. Und das kam ihr manchmal ziemlich unglaubwürdig vor.Aufstehen, Schatzi, sagte sie. Diesmal dezenter.Mmm.Willst du Cornflakes oder ein bisschen Obst?Nix.Aber du musst vor der Schule irgendwas ...Ich hab keinen Hunger.Wenigstens einen Toast ...Ich bin sowieso zu fett.Ginas Tochter war dreizehn und in keiner gesprächigen Phase. Um sechs Uhr dreißig schon gleich gar nicht. Ganz der Vater. Gina ärgerte sich: Wenn ich sie schon allein großziehe, könnte sie wenigstens ausschließlich mir gleichen.Mara kuschelte sich noch einmal kurz unter die Decke. Tappte dann auf nackten Sohlen stumm ins Bad. Schloss vernehmlich hinter sich ab. Dies Geräusch stört mich, dachte Gina. Es verletzt mich. Und das soll es auch. Verdammt, sie soll mich wenigstens zur Kenntnis nehmen.Seit genau eineinhalb Jahren, dem Tag, als sie ihre Periode bekommen hatte, war Mara nachdrücklich auf Distanz gegangen. Und es tat noch immer weh. Egal, wie viel Gina auch über pubertierende Töchter gelesen hatte.Sie funktionierte an diesem düsteren Januarmorgen wieder reibungslos, das musste man ihr lassen. Trotz Lebensangst. Gina schauderte und zog den dicken weißen Bademantel enger um sich. Während Mara das Bad verwüstete, wie jeden Morgen, bereitete sie in der in griechischem Blau gestrichenen Küche das Pausenbrot und was zu trinken vor. Im Licht der Deckenbeleuchtung kam ihr die Farbe viel zu grell vor. Sie passte in gleißende, südliche Sonne, nicht in oberbayerischen Schneematsch. Herr Huber, der Maler, hatte es ja gleich gesagt: Davon kriegt man Kopfweh!An der spanhölzernen Lampe schaukelte zu allem Überfluss auch noch hauchzart eine Spinnwebe. Sie bewegte sich sacht im Luftzug der Heizung unter dem Küchenfenster hin und her. Die gute Frau Roth hatte den Blick mal wieder nicht vom Boden loseisen können. Der war immer blitzblank. Aus Prinzip wohl, dachte Gina, nahm sie Schmutz nur bist höchstens Bauchhöhe zur Kenntnis.Gina wollte nicht, dass ihre Tochter sich am Pausenstand im Gymnasium etwas zu essen kaufte. Dort gab es zu Maras Begeisterung ausschließlich Un-Bio-Mampfe. Die war ihrer Mutter aber zu ungesund und nebenbei zu teuer. Ginas Bemühungen, ihr einziges Kind mit kerniger Naturkost großzuziehen, waren inzwischen weitgehend gescheitert.Aber wenigstens hatte sich Mara die ersten Jahre nicht dagegen zur Wehr setzen können. Mama, schau mal, BioSchnee!, hatte sie glücklich ausgerufen, als sie einmal in der Stadt durch schmutzigbraune Matschhaufen gestapft waren. Damals war sie drei gewesen und noch etwas gefügiger als heute.Um Gina herum maunzten und schmeichelten auf den Holzdielen der Küche die drei für diese Uhrzeit bereits erstaunlich munteren Katzen ihre allmorgendliche Hungernummer herunter. Mizzi, die Mutter, zierlich, nervös, siamgrau, weiß gefleckt. Ihr Sohn Willi, pechschwarz mit weißer Brust und schneeweißen Pfoten. Sah aus wie ein schwarzer Boxstar. Weiße Handschuhe, weißes Handtuch um muskulöse Schultern, Eleganz. Willi war clever. Flink. Er machte Türen auf, indem er sich an die Klinken hängte, und schleppte Schraubverschlüsse von Mineralwasserflaschen an. Er folgte, wenn ihm danach war, Frau Roth und ihrem Staubsauger von Zimmer zu Zimmer.Seine Schwester Kathi: so doof wie hübsch. Riesenklimperaugen, wie mit Kajalstift umrahmt. Schneeweiß, Schwarz wie hingetupft, als wäre sie Willis Negativ. Auch was die Intelligenz betraf.Gina fütterte die Katzen diesmal mit einer unappetitlich braunen Dose Billigfutter für neunundsiebzig Cent, Geschmacksrichtung Thunfisch. Das Zeug stinkt wie die Pest, dachte sie. Sie fühlte sich schuldig. Keine Frage: Katzen würden diese Marke nie im Leben kaufen.Gina schmunzelte zum ersten Mal an diesem Morgen. Die Biester standen nun mal auf teures Futter. Je nobler, desto besser. Hund Fritz war der Preis egal. Hauptsache, er kam den Katzen beim Fressen zuvor. Typisch Promenadenmischung.Gina blieb wie üblich neben den schmuddeligen Näpfen unter dem Fenster zum Garten sehen, um Fritzens Futterneid im Keim zu ersticken. Sie lauschte dem zarten, eifrigen Schmatzen ihrer Katzen, das selbst zu dieser Tageszeit vollautomatisch heiße Liebesgefühle in ihr wachrief.Sie hatte die vielen Tiere erworben, als sie sich von Pit trennte und Oma noch lebte. Etwas voreilig, dachte sie, wie es eben ihre Art war. Es sollte nicht aussehen, als ob es leer würde im Haus, wenn er weg war.Der Garten hinter dem Küchenfenster lag an diesem eiskalten Januarmorgen noch in tiefem Dunkel. Ginas Spiegelbild zeichnete sich in der Scheibe deutlich ab: eine Frau in weißem Bademantel, groß, nicht mehr jung, noch nicht alt. Schwerer Busen. Schmal um die Taille, gebärfreudiges Becken. Schulterlange, dicke Haare. Beinahe schwarz. Dunkle Augenhöhlen. Viel Stirn. Viel Backenknochen, wenig Kinn. Fast dreieckig, das Gesicht. Es ähnelte dem Porträt ihrer Großmutter aus Ungarn, das überm Esstisch hing. Als fremdländisch apart bezeichnete man sie, schon damals in der Schule. Die Zigeunerin mit dem geraubten Kind, nannte sie Freund Conrad oft, wenn er sie mit ihrer blonden Tochter traf.Eitle olle Kuh, rief sich Gina zur Räson. Aber ihr Blick ruhte noch einen Augenblick wohlgefällig auf der Fensterscheibe. Sie spiegelte die Konturen. Das Wesentliche. Falten und erweiterte Äderchen zeigte sie glücklicherweise nicht.Im Haus nebenan, bei Nachbarin Jenny, brannte auch bereits gelbliches Licht wie aus der Johnnie-Walker-Reklame. Der Anblick erwärmte Gina. Sie hatte das Gefühl, jenseits des Zauns eine Verbündete zu haben. Sicher war Frau Nachbarin schon wieder dabei, eiskalt zu duschen und zu juchzen. Die Vorstellung erheiterte Gina. Das ist gut für die Haut, härtet ab und erhält jung, pflegte Jenny zu verkünden. Sie war ebenfalls geschieden, erzog ihre Tochter allein und hatte von einer kurzfristigen Liaison mit einem sandalentragenden Gesundheitsapostel namens Harro ein hartnäckiges Sendungsbewusstsein in Sachen Naturheilkunde davongetragen.Jennys Liebesleben war weitaus munterer als das von Gina. Meine Güte, es ist schon Jahre her, dass ich so richtig handfesten *** genossen habe, dachte sie. Manchmal kam es ihr vor, als hätten ihre Triebe zwischen Hausaufgaben und Computer, Hundespaziergang und Katzenklo beinahe schon den Geist aufgegeben. Gut, sie trieb viel Sport, sagte sie sich trotzig. Rackerte im Fitnessstudio. Mein Körper geht noch halbwegs. Es kommt darauf an, das Verfallsdatum hinauszuschieben. Aber wenn ich meine Kleine so ansehe, also, da sehe ich leider ziemlich alt aus.Jenny trug öfter halterlose Strümpfe in Schwarz. Gina kannte niemanden, für den sich diese Anschaffung gelohnt hätte. Bei den älteren Herren, die ihr nachstiegen, würden sie sowieso nichts mehr nützen. Wo blieb eigentlich jener achtzehnjährige Stehgeiger aus Budapest, den sie im Freundeskreis gern spaßeshalber beschwor und der eines Tages in ihr Leben knallen würde wie der Blitz? Mit Rhett Butler in jungen Jahren hätte sie sich ja auch begnügt. Das durfte sie schon überhaupt niemandem erzählen. Vermutlich hatte sie in ihrem Leben einfach zu viele romantische Schnulzen verschlungen. Von einem Lebensabschnittspartner auf Distanz war nämlich in Vom Winde verweht nirgends die Rede.Bis der stürmische Stehgeiger vor der Tür stand, war wohl weiterhin die Umsetzung ihrer diesbezüglichen Energien ins Berufliche angesagt. Manche hielten sie schon für ein kopfgesteuertes Arbeitstier. Dabei war Gina eigentlich von hitzigem Temperament. Mama, du musst lernen, dich besser zu zügeln, hatte Mara kürzlich bei einem ihrer Wutausbrüche empfohlen.Ein lahmer Kompromiss kam für Gina nicht infrage. Entweder haute es sie noch einmal richtig um, oder sie würde eben weiterhin sublimieren, Karriere machen, sich für wohltätige Zwecke engagieren und dabei in Frieden alt werden. Das hatte durchaus was für sich. Männer waren nun mal ein Unruhefaktor im Leben. Ein Fucktor, variierte Gina, vor sich hin grinsend. Schade, dass das niemand gehört hatte außer den Katzen und Fritz. Perlen vor die Säue ...Dann eben lieber allein, als nehmen, was man noch kriegen konnte. So wie viele, die sie kannte.Gina gähnte. Ihre Augen tränten. Von Natur aus war sie um diese Zeit nämlich noch im Tiefschlaf. Weshalb sie ursprünglich auch den schönen Beruf der Journalistin angestrebt hatte. Angeblich konnte man als solche immer bis in die Puppen ausschlafen. Von wegen. Niemand prophezeite einem, was es bedeutete, außerdem noch Mutter zu sein.Im Tiefschlaf befand man sich in der Phase der Rapid Eye Movements, REM genannt. Was so viel wie schnelle Augenbewegungen während des Träumens hieß und auch als Popgruppe firmierte. Wie stolz war ihr Mutterherz gewesen, der Tochter lässig erklären zu können, was die Shooting-Stars von REM eigentlich für einen akademischen Namen trugen. Das stand nicht mal im Bravissimo zu lesen, das wusste nur, wer hochschulmäßig gebildet und außerdem mit dem ersten Gatten in den USA ansässig gewesen war. So wie sie, Maras weltgewandte Mutter. Die Tochter hatte nur kurz von ihren Hausaufgaben aufgeblickt. Das war auch schon alles gewesen.Schatzilein, es ist gleich Viertel nach sieben!, brüllte Gina vor der Badezimmertür. Es war nicht leicht, gegen das Dauergelächter in der Morgenshow aus dem Radio da drinnen anzukommen.Stille. Sicher benützt sie wieder meine Wimperntusche, dachte Gina. Zur Zeit hatte Mara einige grüne Strähnen in den Haaren. Die ihrer besten Freundin waren blau.Als Gina das schmutzige Geschirr vom Abend mit spitzen Fingern in die Spülmaschine stapelte, wusste sie bereits genau, wie dieser Scheißtag ablaufen würde. Der Geruch von leicht angebrannten Zwiebeln von gestern hing in der Küche. Ihr Stimmungsbarometer sackte noch tiefer: Gegen zwölf Uhr dreißig würde sie wie immer pflichtschuldig von ihrem Computer im Parterre ihres winkeligen Hexenhäuschens ins Obergeschoss eilen. Gründlich genervt von zähen Telefon-Recherchen. Ausgelaugt vom Schreiben ach so seriöser Geschichten für diverse Frauenblättchen.Ausgerechnet Partnerschaft, dachte Gina. Davon habe ich privat ja nun wirklich keinen Dunst. Zwei Scheidungen. Bislang. Und die kaufen mir meinen Käse auch noch ab. Im ersten Stock würde sie dann am Mittag die Küche nach Essbarem durchwühlen. Nie richtig Zeit zum Einkaufen. Etwas Schnelles, möglichst Gesundes, wiewohl Schmackhaftes zubereiten. Dann würde sie gegen dreizehn Uhr dreißig ihre Brut empfangen, mit aufgeräumtester Mütterlichkeit in der Tür stehend, die nimmermüden Hände an einer imaginären Kittelschürze abtrocknend.Schließlich hatte das Kind ein Recht auf Familienleben. Auch wenn die Familie längst futsch und die Mutter berufstätig war.Inzwischen war es tatsächlich Mittag geworden. Gina wartete bei Tisch bereits mit stillem Grimm auf die gepflegte Konversation während des Essens, die sich tagtäglich entspann. Ihre Tochter verschlang die Spaghetti al Funghi aus der Tüte nebst Eisbergsalat mit unbeweglicher Miene halb stehend und schwieg.Die Rahmsauce spritzte. Aus Gründen der Erziehung zur Kultiviertheit speiste man stets mit Kerzenlicht, Stoffservietten und Tischmusik. Mara hielt dies für völlig überflüssig. Was gab es in der Schule?, eröffnete Gina vorsichtig. Nix. Klare Abfuhr.Sitzt du noch neben der Julia?Nö. Mara rülpste vernehmlich. Gina tat, als höre sie nichts. Nur nicht provozieren lassen, hieß es in den Ratgebern für Mütter aufmüpfiger Rüpel.Habt ihr eine Ex geschrieben?Nö.Habt ihr was auf?Mmm.Sag doch was. Nie erzählst du mir, was los war. GinasTon wurde allmählich spitz. Blöde Zicke, dachte sie.Wir haben scheißviel auf, sagte Mara. Blöde Zicke,dachte sie.Zum Nachtisch gibt es Palatschinken.Cool.Willst du noch was trinken?Cola!Wir haben naturtrüben Apfelsaft und Multivita ... Das Wort gesund war in diesem Zusammenhang um jeden Preis zu vermeiden.... nöö, dann nix.Im Anschluss an dieses aufschlussreiche Gespräch führte Gina zum zweiten Mal am Tag ihren völlig unerzogenen Riesenköter Fritz Gassi. Er zerrte noch immer an der Leine, als ginge es um sein Leben. Obwohl er auch nicht mehr der Jüngste war. Wie der Herr, so's Gescherr, dachte Gina. Sie liebte ihn trotz allem heiß. Pit nannte Fritz manchmal spöttisch ihren ständigen Begleiter.Derweil räumte die Tochter widerwilligst den Tisch ab und erledigte in gleicher Weise ihre Latein- und sonstigen Hausaufgaben. Anschließend war Vokabeln-Abhören angesagt. Eine weitere Pflicht für Mütter in der ausgehenden Brutpflegephase, auf die Gina liebend gern verzichtet hätte. Einmal mehr ärgerte sie sich über die Herablassung, mit der die Frucht ihres Leibes sie seit geraumer Zeit behandelte. In ihren Augen bin ich längst eine senile Alte, versuchte sie sich zu trösten. Und außerdem hab ich zu allem Überfluss keinen Schimmer von Mathe. Aber dieser Ton? Zum Kotzen. Sicher würde das ungeratene Ding sich nachher mit ihrer Busenfreundin in Richtung Kino, Eissalon oder Reitverein empfehlen oder, wie sie es mit Vorliebe nannte, verpissen.Bis dahin hockt sie noch stundenlang an meinem Telefon, klaut mir mein Make-up, schnorrt mein letztes Bargeld, und ich lasse das auch noch über mich ergehen, dachte Gina düster. Von strammer pädagogischer Führung war sie wirklich Lichtjahre entfernt. Sie war viel zu sehr darauf erpicht, von ihrer Brut gemocht zu werden. Wer liebte schon eine Respektsperson? Andererseits: Wer liebte einen Fußabstreifer?Scheißspiel. Mutterfreuden. Plötzlich fühlte sie so was wie Verständnis für Pit. Er setzte sich den Pflichten der Brutpflege eher sparsam aus. Sie und Mara waren eine Einelternfamilie, so hieß das im Fachjargon. Den hatte sie wenigstens drauf.Das war dann genau der Augenblick, an dem Gina sich gern grundsätzlich gefragt hätte, was sie falsch machte in ihrem Leben. Vorausgesetzt, sie hätte die Muße dazu gehabt. Denn der Nachmittag war auch die Zeit, in der sie an ihrem Schreibtisch im Parterre weitere Diensttelefonate sowie mehrere Blatt einer dringenden Reportage über irgendwelchen Mann-Frau-Zoff in Angriff nahm. Zwischendrin goss sie die Pflanzen. Rannte ständig in den Keller, um nach der Wäsche im Schleudergang zu sehen.Die Waschmaschine gab quietschende Geräusche von sich. Sie hüpfte rüttelnd wie ein Falke über den schmuddeligen, grauen Kellerboden. Hinterließ schwarze Streifen. Roch nach verbranntem Gummi. Gina sah im Geiste bereits die Rechnung für eine neue vor sich. Ob sie Frau Roth einsparen sollte? fragte sie sich zum hundertstenmal. Zügige Entscheidungen waren nicht ihre Spezialität.Nicht genug: In Tennissocken latschte sie neben der bereits verrosteten Küchenheizung genau in eine noch warme Pinkelpfütze. Sie färbte die Sohle ihrer rechten Socke gelb. Ihr Gesicht puterrot. Das Hündchen hatte die Feuchtigkeit aus Protest dagegen hinterlassen, einmal mehr nicht ausreichend beachtet worden zu sein. Gina trat ihn, Verwünschungen brüllend, in den Hintern. Das Biest knurrte auch noch! Natürlich wusste sie genau, dass der Tritt nichts helfen würde.Mitunter standen noch Abendtermine an. So wie am kommenden Montag. Berufliche und auch private. Zum maßlosen Erstaunen ihrer Tochter fanden sich nämlich dann und wann tatsächlich noch graumelierte, ältere Herren ein, die sich aus unerfindlichen Gründen für ihre Mutter zu interessieren schienen.Lass doch für deine Verehrer an der Haustür eine Rollstuhlrampe installieren, sagte Mara genüsslich. Sie könnten dann beim Eintreffen jubelnd ihre Gebisse emporwerfen.Manchmal, wenn sie abends ausging, verabschiedete sie sich etwas unsicher von ihrer Tochter. Mara hatte dann so einen gewissen Blick. Meinst du nicht, du solltest in deinem Alter besser einen BH tragen?, warf sie nur so hin. Gina war sich absolut sicher, dass Scarlett, mit solch einer Tochter geschlagen, niemals Rhett Butler umgarnt hätte. Ganz abgesehen davon, dass sie zu Beginn auf Tara so um die sechzehn gewesen sein musste.Auch in ihrem sündteuren, mohnrot-schwarzen, bestickten Estrada-Kostüm, das sie über finstere Kanäle im Freundinnenkreis günstig erworben hatte, entfachte Gina bei ihrer Tochter keinen Begeisterungssturm.Aha, du gehst heute als Zirkusreiterin, hieß es nach einem kurzen Aufblicken vom MTV-Programm aufbauend. Gefolgt von dem gut gemeinten Rat, dass Knallfarben besonders in der Altenpflege nun wirklich nichts verloren hätten. Mausgrau wäre Mara bestimmt angemessen erschienen. Aber wenigstens hierin ließ Gina sich zumindest rein äußerlich nicht beirren.In letzter Zeit hatte sie sogar manchmal den Mut gefunden, zu ihrem ordinären Geschmack zu stehen. Immer Martin Luthers ermunternden Trutz-Spruch Hier stehe ich, ich kann nicht anders, Gott helfe mir, Amen. auf den Lippen.Es wurde manchmal später, bis Gina todmüde heimkam. Das Töchterchen saß dann gegen zwei Uhr morgens - am nächsten Tag war wohlgemerkt Schule - aufgekratzt wie Donald Duck mit Hund und Katzen auf dem zerknautschten Sofa. Umgeben von zahlreichen leeren Dosen eines flügelverleihenden Energy-Drinks, den ihre Mutter streng verboten hatte. Die wusste ihre Tochter lieber flügellos. Die Rauchschwaden im Raum übersah Gina geflissentlich.Alle mampften sie Studentenfutter und Chips, und Mara zog sich, wild hin und her zappend, parallel mehrere Gruselfilme auf diversen Kanälen privatdeutscher Fernsehhochkultur rein. Auch Horror hatte Gina übrigens strengstens verboten.Vierunddreißigmal Scheiße ist auch Scheiße, nahm sie dann gern zu ihrem Lieblingskabarettisten Zuflucht.Wie wahr, konterte ihre Tochter mit der ganzen Grausamkeit der Jugend. Sie spielte damit natürlich auf eine von Ginas Schwachstellen an: die Gewohnheit nämlich, alles mindestens vierunddreißigmal zu wiederholen. Wahrscheinlich, so vermutete Mara, hatte ihre Mutter durch die jahrelange berufliche Beschäftigung mit Problemen der Partnerschaft in allen möglichen Medien bereits ernstlichen geistigen Schaden genommen.Und dann der nächste Morgen. Welch ein Schauspiel: Der Nachwuchs schwärmte Gina heuchlerisch und ungewöhnlich gesprächig vom hohen Informationsniveau der Tagesthemen vor. Diese habe sie sich zur Entwicklung ihres politischen Sachverstandes zu Gemüte geführt. Was ihrer Mutter als engagierter Achtundsechzigerin doch nur recht sein konnte, oder?Ich glaube dir kein Wort, Kanaille! kochte es in Gina dann. Aber nur innerlich. Der Vulkan würde nicht ausbrechen. Gina fehlte der Mumm, dreiste Behauptungen ihrer Tochter anzuzweifeln.Sie war sehr schnell mundtot zu machen. War nicht einzig und allein sie die skrupellose Rabenmutter? Eine Schlampe, die ein unmündiges Kind schmählich allein in einem finsteren Haus zurückließ, um hemmungslos ihrem Lotterleben zu frönen? So stellte das clevere Biest es blitzschnell dar. Wenn Not am Manne war.Ebendies unmündige Kind lehnte mit eisenharter Durchsetzungskraft jeglichen Aufpasser kategorisch ab. Weit unter seiner Würde! Auch das kehrte Gina, konfliktscheu, wie sie war, gern unter den Teppich.Ihre schlaue Tochter verstand es virtuos, auf der Klaviatur von Ginas Schuldgefühlen zu spielen. Ich wüsste gern, ob es Jenny auch so geht, dachte sie manchmal. Ich muss mal mit ihr reden.Ach, wie liebend gern wäre Gina als beifallumtoste Dirigentin ihres Ein-Frau-Orchesters, als immergrüne Über-Mama dagestanden. Vor sich und vor ihrer Tochter. Gut im Geschäft, attraktiv, hilfsbereit und tierlieb. Alles im Griff, umschwärmt, immer gut drauf. Vielleicht merkte dann niemand, wie einsam sie sich manchmal fühlte. Am wenigsten sie selbst. Taschenbuch.
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